Unionsfraktionschef Volker Kauder bei „Flüchtlingskonferenz“ in Deißlingen
Es ist dies die Stunde der Basis, der Kommunikation – und der Information. „Wenn ich über ‚Hartz IV und dessen Folgen‘ reden würde, kämen vielleicht zehn Personen“, sinniert der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder zum Beginn der Konferenz der beiden CDU-Kreisverbände Rottweil und Tuttlingen im Hotel Hirt in Deißlingen. Doch es geht um das beherrschende Thema dieser Zeit, um die wohl größte Herausforderung seit Jahrzehnten, die Flüchtlingskrise: Und da mussten sämtliche Trennwände beseitigt und die Türen hinaus ins Lokal geöffnet werden. Weil das Thema bewegt.
Und die Mitglieder der CDU sowie Gäste wissen wollen, was los ist und wie es weitergeht mit den Flüchtlingen und Asylbewerbern. Von Volker Kauder, der in Berlin ganz vorne mit dabei ist bei der Bewältigung dieser Ströme, der sich auskennt wie wenige andere: sowohl in den Krisenregionen durch seine zahlreichen Besuche und Gespräche als auch an der viel beschworenen Basis. Ihm kann in der Tat keiner was vormachen.
In der von den beiden CDU-Kreisvorsitzenden Stefan Teufel und Maria-Lena Weiss moderierten Veranstaltung legte Volker Kauder das ihm hingereichte Mikrofon gleich mal zur Seite: „Ich habe eine so starke Stimme …“ Was in mehrfacher Hinsicht richtig ist. Und so beschrieb er dann die Situation, in der Dramatik, in der sie sich darstellt, auch mit dem Hinweis, dass er im Sommer bei einer Griechenland-Sondersitzung im Deutschen Bundestag darauf hingewiesen hat: „Wir müssen möglicherweise mit einer noch viel größeren Herausforderung rechnen als dies Griechenland für uns ist“, und die FAZ daraufhin von einer Ablenkung sprach. Seine Besuche und seine Erlebnisse und Eindrücke in den Krisenregionen wie Erbil und Mosul, seine Begegnung mit dem jordanischen König Abdullah z. B. machten ihm deutlich, was da auf Europa und letztlich auf Deutschland zukommen würde. Und Volker Kauder räumte mit manchen so gerne vorgebrachten Mythen auf, als sei die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel anfangs September, die in Ungarn unter unerträglichen Zuständen gehaltenen Flüchtlinge durchzulassen, der Grund für alles, was danach geschah. „Sie hat die Ehre Europas gerettet“, rief er in den Saal, in dem die etwa 200 Teilnehmer mucksmäuschenstill zuhörten. Wohl wenige von ihnen hatten in der kompakten, aber auch umfassenden Form von einem der wichtigsten Akteure auf der Berliner Bühne so glaubwürdig und authentisch die Geschehnisse und Hintergründe der Fluchtbewegungen vernommen. Bis hin zu den in Kraft getretenen Gesetzesänderungen und den Bemühungen, zu schnelleren Entscheidungen zu kommen, Flüchtlinge mit und ohne Bleibeperspektive in Transitzonen aufzuteilen. Und an der Stelle mit der einzigen Attacke auf den Koalitionspartner: „Die Sozis reden Schmarren, wenn sie von Gefängnissen reden.“
Was zu spüren ist: die ganz vielen einzelnen Schritte, die notwendig sind, damit die Flüchtlingswellen erst gar nicht in Bewegung kommen. „Wer hätte vor einem halben Jahr gedacht, dass die Grünen dabei mitmachen würden, den gesamten westlichen Balkan zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären?“
Von einer „Sternstunde der CDU in der Region“ sprach nach der Veranstaltung die Vorsitzende des CDU-Ortsverbandes Vöhringen/Wittershausen, Andrea Kopp. Auch weil dies die Stunde der Information war und gleichzeitig die der sehr offenen Aussprache und des Dialogs mit dem prominenten Politiker, der gleichzeitig seine Verankerung in seinem Wahlkreis ungebrochen hält.
Bemerkenswert: die Stellungnahmen der (Ober-)Bürgermeister von Tuttlingen, Immendingen und Hardt. Mit klaren Bekenntnissen zu einem „wir schaffen das“ auf ihrer Ebene. Denn dort wo auf der kommunalen Ebene diese Zeichen gesetzt werden, ist die Stimmung eine andere als wenn die kommunalen Mandatsträger in Defätismus verfallen. Und es wurden die Stimmen laut in der Diskussion, die Besorgnisse anklingen ließen, egal ob es um die Erhaltung der Werteordnung geht oder darum, „dass man nicht alles sagen darf, weil man sonst gleich in die rechte Ecke gestellt wird.“
Es sollte und es konnte an diesem Abend jeder seine Meinung sagen: seine Kritik, seine Sorgen, seine Unterstützung der Politik von Angela Merkel und von Volker Kauder. Und seine Zweifel. Auch die Frau, die drei Fluchten hinter sich hatte und die etwas ausführlich darüber berichtete. Woraufhin Volker Kauder den ob der Länge aufgekommenen leisen Unmut konterte: „Es darf hier jeder das sagen, was er will. Und wir lassen alle aussprechen.“
Es war zu spüren wie selten einmal, welch dramatische Lage von der Politik zu bewältigen ist, aber auch von allen, die Verantwortung tragen in den Gemeinden, überhaupt von jedem. Und nicht zuletzt die Bemerkungen des Unionsfraktionschef zum Zustand von Europa, „dieser Werte- und Schicksalsgemeinschaft“ (?!) und seinen Besorgnissen zeigten die Berechtigung, von einer noch nie da gewesenen Herausforderung zu sprechen.
Dies war zu spüren, in jeder Minute und bei nahezu jedem Wortbeitrag in „dieser Sternstunde“ an einem herbstlichen Freitagspätnachmittag in Deißlingen.
Wie aber wären die Menschen nach Hause gegangen, wenn Volker Kauder und die Verantwortlichen in der CDU Mutlosigkeit gepredigt hätten in eine unsichere Stimmungslage hinein?
Viele nachdenkliche Zwischentöne und Bemerkungen von Volker Kauder, der mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung in der Politik und als einer der wichtigsten Funktionsträger in Berlin Zusammenhänge erläutert, die manchen die Augen aufgehen lassen: „Da hat der Friedensnobelpreisträger Obama nicht schnell genug die Truppen abziehen können aus Afghanistan, und nun sehen wir das Ergebnis …, die Flüchtlinge aus eben diesem Land nehmen zu.“
Und da war der Deißlinger Pfarrer Edwin Stier, der bereits zu Beginn der Aussprache die richtigen Worte zu und über Volker Kauder gesprochen hatte, zu seinem Rückgrat, zu seinem Einsatz nahezu überall in der Welt.
An einem denkwürdigen Tag. Der von der so unsicheren Zukunft Europas bis zu den Herausforderungen in jeder noch so kleinen Gemeinde nahezu alles enthielt, was mit einem Thema zu tun hat. Ganz vorne mit dabei der gesellschaftliche Frieden, eine Geisteshaltung, der Anstand als Teil unseres kulturellen Selbstverständnisses – bis hin zu der ganz profanen, aber ebenfalls wichtigen Erkenntnis von Volker Kauder, dass es möglich ist, Bauvorschriften ganz kurzfristig zu verändern: „Und die Welt bricht nicht zusammen."